Nuri CEO Kristina Walcker-Mayer spricht darüber, wie man mit dem Konzept des MVP ein kundenorientiertes Produkt bauen kann.
Das Konzept des MVP
Die meisten Produktideen funktionieren nicht oder müssen iteriert werden. Deshalb ist es sehr wichtig, in einem sehr frühen Stadium des Produktentwicklungsprozesses Erkenntnisse über das Produkt und die möglichen Kund:innen zu gewinnen. Eric Ries schlägt in seinem Buch „The Lean Startup“ das Konzept eines MVP (Minimum Viable Product) vor. Er definiert ein MVP als „jene Version eines neuen Produkts, die es einem Team erlaubt, mit dem geringsten Aufwand ein Maximum an validierten Erkenntnissen über die Kund:innen zu sammeln.“ – puh, viele Worte. Schauen wir uns einmal genauer an, was diese im Detail bedeuten:
- „Version eines neuen Produkts“: dies bedeutet, dass es noch kein vollwertiges Produkt ist, aber bereits die Aufgabe eines Produkts erfüllt (z. B. könnte es eine bestimmte Funktion des Produkts vortäuschen, sodass man auf den Prototyp klicken könnte und das gewünschte Ergebnis erscheint)
- „ein Maximum an validierten Erkenntnissen über die Kund:innen zu sammeln“: diese Erkenntnisse könnten sich auf den Produktwert und den Markt, die Zielgruppe, aber auch auf die Rentabilität der Produkte für dieses Geschäft beziehen
- „mit dem geringsten Aufwand“: es geht darum, so schnell und billig wie möglich zu testen. MVPs werden nicht gebaut, um zu überdauern oder darauf aufzubauen. Das Vortäuschen von Features und Funktionalitäten ist oft Teil einer ersten Testiteration, um den Wert des Produkts zu verstehen
Um sehr genau zu wissen, was Ihr lernen und testen wollt, sollte der Zielmarkt gut definiert sein. Es ist schwer (oder unmöglich), ein Konzept zu testen, wenn die Benutzergruppe zu breit ist, da die Ergebnisse dann anfangen, sehr unscharf zu werden. Ein Beispiel: Wenn Ihr ein Auto bauen wollt, solltet Ihr definieren, ob Ihr ein Produkt für das Luxussegment oder für Student:innen baut, da diese unterschiedliche Bedürfnisse haben könnten und dies die Ergebnisse Eurer MVP-Tests beeinflussen würde.
Ein MVP ist also wirklich noch kein vollwertiges Produkt. Bei dem Konzept eines MVP geht es darum, herauszufinden, was die richtigen Dinge sind, die man bauen sollte.
In unserer Startup School lernst Du, wie Du ein sinnvolles MVP für Deine Produkt Idee baust.
Warum ist es wichtig, Eure Ideen mit einem MVP zu validieren, bevor Ihr startet?
1) Schließlich wollt Ihr weder Zeit noch Geld für ein Produkt verschwenden, das das Problem der Kund:innen nicht löst.
- Kund:innen: Achtet darauf, dass Ihr a) ein Kundenproblem löst und b) es auf die richtige Art und Weise löst.
- Team: Wenn Ihr mit erstklassigen Talenten arbeitet, wollen diese höchstwahrscheinlich an sinnvollen Produkten arbeiten, die einem großen Zweck dienen und ein Problem lösen. Um sie langfristig zu halten, müsst Ihr dafür sorgen, dass sie in den Lernprozess einbezogen werden.
- Business: Um bessere und realistischere Annahmen zu Business Cases treffen zu können, hilft der MVP-Ansatz, bessere Informationen direkt von Euren Kund:innen oder Partner:innen zu erhalten.
2)Wir müssen verstehen, dass wir oft einfach Dinge „nicht wissen“. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir Fragen sammeln und beginnen, diese zu beantworten und Erkenntnisse zu sammeln. Während wir diesen Entdeckungsprozess starten, werden viele Dinge aufgedeckt, an die wir noch gar nicht gedacht haben. Das Testen eines MVP wird so viele neue Erkenntnisse, Sorgen und Bedürfnisse der Nutzer:innen ans Licht bringen, die Euch bei der Iteration und beim Pivot in eine sinnvollere Richtung helfen werden. Oder wie Albert Einstein sagte: „Wenn wir wüssten, was wir tun, würde man es nicht Forschung nennen, oder?“
3) Wir wollen ein Ergebnis statt eines Outputs schaffen. Der Grund, warum Ihr dabei seid, ein Produkt zu bauen, ist in der Regel, dass Ihr ein Benutzerproblem lösen wollt und Ihr darin eine große Geschäftsmöglichkeit seht. Um sicherzugehen, dass Euer Produkt das Problem überhaupt löst und Ihr einen geschäftlichen Outcome daraus generieren könnt, müsst Ihr das vorher testen. Aber ist das nicht in einem Business Case enthalten? Doch, ist es, aber Euer Business Case wird wahrscheinlich auf Annahmen beruhen. Je mehr forschungsbasierte Informationen Ihr hinzufügt, um diese Annahmen zu erstellen, desto besser und realistischer wird Euer Business Case sein.
4) Ein MVP hilft Euch, die möglichen Risiken im Aufbau eines Produkts zu reduzieren. Marty Cagan gibt in seinem Buch „Inspired“ folgendes Unterscheidungen:
- Value Risk: Wird der/die Kund:in Euer Produkt kaufen? Besteht genügend Interesse?
- Usability: Kann der/die Anwender:in Euer Produkt nutzen?
- Feasibility: Könnt Ihr das Produkt bauen? Habt Ihr das richtige Setup / die richtigen Ressourcen vor Ort?
- Viability: Kann es von Unternehmen unterstützt werden? Gibt es rechtliche Beschränkungen?
Was ist der richtige Umfang für ein MVP?
Um den Umfang Eures MVP zu definieren, ist es sinnvoll, eine Hypothese für die Herausforderung zu definieren, über die Ihr mehr erfahren möchtet. Eine Hypothese kann folgendermaßen aufgebaut sein:
„Wir glauben, dass das Hinzufügen der One-Click-Anmeldung über Google eine nützliche Funktion für viel beschäftigte Nutzer:innen sein wird, die ein Google-Konto haben, da es ihnen Zeit spart. Dies wird unsere Anmelderate um 25 % erhöhen.“
Die Elemente Eurer Hypothese sind:
- Überzeugung
- Personas/Zielgruppe
- Anwenderwert
- Erwartung
- Ergebnis, das die Überzeugung belegt
Und wie fängt man nun an?
Sobald Ihr eine Hypothese definiert habt, müsst Ihr einen Weg finden, Eure Idee zu transportieren und so schnell wie möglich mit Euren Kund:innen zu sprechen. Auf diesem Weg werdet Ihr ggf. neue Hypothesen aufstellen oder auch Eure Idee anpassen müssen.
Ein guter Ansatz zur Strukturierung kann die Erstellung einer Customer Journey Map mit klar priorisierten Stories sein. Überfrachtet aber Euer MVP nicht, sondern konzentriert Euch auf das Hauptthema, das Ihr validieren wollt.
Welche Arten von MVPs gibt es?
MVPs müssen nicht hochqualitativ sein. Sie können mit einer Visualisierung Eurer Idee beginnen, z. B. einem Papierprototypen, der Euren Ansatz skizziert. Dieser Ansatz ist sehr einfach und kostengünstig und wird Euch helfen, erste Learnings zu erzeugen.
Falls Ihr bereits eine konkrete Vorstellung davon habt, wie Euer Produkt aussehen könnte / sollte, könnt Ihr auch Design-Prototypen verwenden, um die Usability zu testen.
Wenn Ihr das Interesse Eurer Zielgruppe testen möchtet, können Google-Adwords-Kampagnen recht hilfreich sein, um auszuprobieren, wie viele Menschen nach Lösungen für das Problem suchen, das Ihr lösen möchtet. Das ist eine sehr einfache und schnelle Möglichkeit, mehr über potenzielle Interessengruppen zu erfahren, indem Ihr später die Klicks analysiert. Vielleicht möchtet Ihr sogar eine Landing Page hinter der Anzeige einfügen, die Euer Produkt genauer erklärt und vielleicht ein Erklärvideo Eurer Idee einbindet. Um erste Testkund:innen zu bekommen, könntet Ihr Eure Besucher:innen sogar nach ihrer E-Mail-Adresse fragen, damit Ihr sie für weitere Tests oder tiefergehendes Feedback kontaktieren könnt.
MVPs können zudem auch eine Realität vortäuschen. Um einen Service kostengünstig zu testen, könnt Ihr auch einen sogenannten Wizard of Oz- oder Concierge-Test durchführen. Die Idee hinter diesen MVPs ist, dass sich Euer Service oder Eure Lösung für die Benutzer:innen schon ziemlich automatisiert oder sogar personalisiert anfühlt, aber im Hintergrund wird alles manuell erledigt. Diese Art von MVP hilft Euch, einen komplexeren Service mit Euren Nutzer:innen zu testen und Fehler in der Journey frühzeitig zu erkennen, ohne komplexe Systeme zu bauen. Viele E-Commerce-Unternehmen sind auf diese Art gestartet.
Wenn Ihr nach weiteren Inspirationen für großartige MVP-Beispiele sucht, schaut Euch das Video an von “development that pays”.
Wann immer Ihr auch eine Idee testet, macht Euch bewusst, dass wir alle nur Menschen sind und es eine riesige Verzerrung in der Wahrnehmung von Bestätigungen und Zuspruch gibt: Wir sind in der Regel so in unsere Ideen verliebt und möchten sie lieber in den Himmel loben, als sie objektiv zu bewerten. Wenn Ihr Euch dessen bewusst seid, seid Ihr einen Schritt näher daran, wirklich zu versuchen, die Reaktionen und das Feedback Eurer Kund:innen zu verstehen und damit am Ende einen Schritt näher an einem kundenzentrierten Produkt.
Über die Autorin
Kristina Walcker-Mayer ist CEO bei Nuri. Davor war sie mehrere Jahre als Product Lead bei N26 und bei Zalando als Product Lead im Loyalty- und Mobile-Apps-Team tätig, wo sie kundenzentrierte Lösungen lieferte und das mobile Mindset innerhalb der verschiedenen Abteilungen von Zalando vorantrieb. Neben ihrer Leidenschaft, Produkte zu entwickeln, moderiert Kristina ihren eigenen Podcast „emploYAY“, der uns dazu herausfordert, Beschäftigung und Zweck bei der Arbeit neu zu überdenken und Vorbilder mit nichtlinearen Karrieren und neuen Arbeitsansätzen vorstellt. Bevor sie auf Unternehmensseite Produkte entwickelte, arbeitete Kristina als Mobile Consultant und Account Managerin für Agenturen wie Aperto und iconmobile, wo sie mobile Strategien aufbaute und innovative mobile Lösungen für große Kund:innen aus den Bereichen Einzelhandel, Fernsehen, NGO und Automotive entwickelte.