Von nice-to- zu must-have: Warum sind EdTechs für Corporates so wichtig?
In der Produktion, im Vertrieb und erst recht in der IT – branchenübergreifend fehlen deutschen Unternehmen immer mehr Arbeitskräfte. Bedeutet: Theoretisch könnten sie effizienter sein, mehr produzieren und höhere Umsätze erzielen. Doch der Fachkräftemangel bremst sie dabei aus. Umgerechnet 90 Milliarden Euro hat die deutsche Wirtschaft im Jahr 2023 verloren. Und das könnte erst ein Vorgeschmack sein: Sobald die Babyboomer-Generation den Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren nach und nach verlässt, dürfte die Fachkräftelücke noch deutlich größer werden. Um diese Kluft zu schließen, müssen Unternehmen ihr bestehendes Personal immer besser qualifizieren.
VW, Siemens oder die Deutsche Bahn sind dabei nur einige große Unternehmen, die ihre Schulungskonzepte mithilfe von EdTech-Lösungen auf ein neues Level bringen. Kaum eine Branche kann sich nämlich noch eingestaubte Fortbildungen erlauben – zumindest nicht, ohne den Anschluss an die Konkurrenz verlieren. Denn hinzu kommt, dass der Wandel der Arbeitswelt immer neue Qualifikationen erfordert. Entscheidend ist also, die Anforderungen früh genug zu erkennen und passende Angebote bereitzustellen. Wie wichtig Kooperationen mit EdTechs dabei sind, hat das rasante Wachstum des Corporate Learning Sektors in den letzten Jahren gezeigt. Doch wo steht der Markt aktuell? Und wo geht die Reise hin? Um diese Fragen zu klären, hat die Founders Foundation einen Workshop mit langjährigen Expert:innen aus Personalabteilungen und der Forschung durchgeführt. Sie haben drei zentrale EdTech-Trends unter die Lupe genommen.
EdTech Trend 1: Adaptives Lernen
Punktgenau ansetzen statt breit streuen: Adaptive Lernsysteme können Lernprozesse speziell auf die Bedürfnisse des Einzelnen zuschneiden. Und der Einsatz von KI eröffnet dabei völlig neuen Spielraum.
Welches Potential hat Adaptives Lernen? Der größte Vorteil besteht darin, Prozesse zielgenau an die Bedürfnisse der Beschäftigten anzupassen. Algorithmen können beispielsweise das Vorwissen und die Lernbereitschaft auswerten, um persönliche Lernpfade zu erstellen – in Echtzeit. Für neue Motivation der Beschäftigten können dabei auch Chatbots sorgen: Statt einfach nur Texte zu lesen, können sie mit den Systemen interagieren und etwa weiterführende Fragen stellen. Unternehmen können die Daten danach nutzen, um Defizite besser einzuschätzen und künftige Fortbildungen besser zu planen.
Welche Herausforderungen gibt es noch? Von dem Potential profitieren bislang vor allem große Unternehmen. Sie nutzen ihre hohe Anzahl von Beschäftigten, um KI-Systeme bestmöglich zu trainieren. Kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) hingegen fehlen diese Datenmengen. Allerdings: Laut den Expert:innen lassen sich Trainingsdaten künftig nicht nur durch viele Beschäftigte, sondern auch durch eine präzisere Beobachtung von Einzelnen ermitteln. Für EdTechs bietet sich mit der Zielgruppe KMU dann ein riesiger Markt.
Wie sieht der künftige Ausblick aus? Neben den immer besseren Chancen für KMU steht vor allem das Feedback zu individuellen Lernfortschritten weiter im Fokus. Die Expert:innen gehen davon aus, dass Lernprozesse künftig noch präziser beobachtet und ausgewertet werden. Die Daten ließen sich dann in ein „Skill Management“ sammeln, mit dem Unternehmen ihre Weiterbildungen genauestens planen können. Eine Folge: Fragen des Datenschutzes könnten immer stärker in den Vordergrund rücken.
EdTech Trend 2: VR Learning
Eine neue Flugroute testen, eine Operation am Herzen durchführen, die Arbeitssicherheit in der Fabrikhalle prüfen: Virtual Reality schafft Lernumgebungen, die in der Realität zu aufwendig oder gar nicht möglich sind.
Welches Potential hat VR Learning? VR-Lernsysteme räumen damit nicht nur Risiken aus dem Weg, sondern senken auch den Aufwand für Unternehmen, der für komplizierte Lernprozesse anfallen würde. Der Vorteil ist aber vor allem das „erfahrungsbasierte Lernen“. Dabei aktivieren Lernende verschiedene Sinne und entwickeln neuen Spaß am Lernen, wodurch sie in der Folge auch ihre Leistungen verbessern können. Letztlich hat VR aber auch einen Marketingfaktor: Mit der innovativen Technologie verschaffen sich Learning und Development Abteilungen ein modernes Image und wirken attraktiver.
Welche Herausforderungen gibt es aktuell? Aktuell lässt sich das Potential von VR-Lernsystemen einerseits auf der Anwenderseite noch nicht nutzen: Von Lernenden wird das Gewicht von VR-Brillen etwa als zu schwer wahrgenommen oder sie beklagen sich über Schwindelgefühle (Cybersickness) bei der Nutzung. Andererseits gibt es Hürden auf der Anbieterseite: VR-Lösungen sind nur schwer skalierbar und werden daher oft nur als Dienstleistung für einzelne Kund:innen entwickelt – die ein entsprechendes Budget brauchen.
Wie sieht der künftige Ausblick aus? Bei VR-Lernsystemen stehen künftig zwei Anwendungsbereiche im Fokus: Zum einen bieten VR-Brillen immersive Erlebnisse, die im Zuge des technologischen Fortschritts immer realitätsnaher erscheinen können. Zum anderen bietet Desktop-VR auch 3D-Lernerfahrungen, ohne teure Hardware anschaffen zu müssen. Dazu können Lernende auch das Problem der Cybersickness vermeiden. Für reine Kommunikationsfunktionen (z. B. 3D-Videokonferenzen) wird dies laut Expert:innen künftig ausreichen. Es wird jedoch dauern, bis VR- Systeme zum Alltag in Unternehmen werden.
EdTech Trend 3: Microlearning
In fünf Schritten ein Projekt organisieren, in 60 Sekunden ein neues Programm verstehen – Microlearning vermittelt Wissen in kleinen Häppchen statt über lange Schulungen, häufig auch über Bilder und Videos.
Welches Potential hat Microlearning? Der Vorteil liegt auf der Hand: Lernende müssen nicht viel Zeit investieren und erhalten dennoch gut strukturiertes Wissen. Die Lernmethode lässt sich daher auch in den Arbeitsalltag integrieren und kann bei Problemen schnell weiterhelfen. Häufig schlagen E-Learning-Plattformen direkt passende Inhalte vor, mit denen Lernende sich Schritt-für-Schritt ein größeres Wissen aufbauen können.
Welche Herausforderungen gibt es aktuell? Die Kürze der Inhalte ist aber auch eine Herausforderung: Damit ein Lerneffekt erzielt werden kann, müssen Inhalte auf den Punkt und zugleich umfangreich genug aufgebaut sein. Laut Expert:innen eignet sich Microlearning daher grundsätzlich nicht, um Kompetenzen wie kritisches Denken zu vermitteln. Hierzu wären ein größerer Lernkontext und ein Methodenmix nötig.
Wie sieht der künftige Ausblick aus? Ein Trend des Microlearnings liegt darin, nicht nur externe Materialien wie Sicherheitstrainings, sondern auch interne Dokumente wie Unternehmensrichtlinien zu nutzen. Dazu könnten KI-Assistenten noch stärker ins Microlearning integriert werden, um etwa Fehler automatisch zu korrigieren. Denkbar ist künftig auch, dass Wissen aus Microlearning-Kursen mit Zertifikaten belegt wird.