„Verantwortung abgeben!“ – Das ist die Standardantwort, wenn ich echte Wachstumsführer nach ihrer wichtigsten Führungskompetenz frage. Nur wenn du Aufgaben so abgibst, dass sie wirklich in die Verantwortung Deines Gegenübers oder Deines Teams übergehen, kannst Du Dich selber skalieren und Dein Unternehmen zum Wachsen bringen.
Tatsächlich tun sich viele Gründer:innen schwer, wirklich Verantwortung abzugeben. Die Gründe: Mangelndes Vertrauen und das Bedürfnis, die Kontrolle zu behalten. Das Ergebnis: Statt Verantwortung werden Anweisungen gegeben. Möglichst klar und genau. Und diese Anweisungen sollen bitteschön möglichst genau so befolgt werden. Dumm nur: Der/Die Geführte macht dann das, was Du erwartest, egal ob richtig oder falsch. Die Verantwortung für die Ausführung und die Qualität der Ergebnisse bleibt bei Dir. Du hast die Aufgabe, aber nicht die Verantwortung übergeben. Das ist es nicht, was wir wollen, vor allem nicht in sich schnell ändernden Umfeldern.
Moderne Führung, preußische Wurzeln
Die Erkenntnis, dass ein „Führens mit Befehl“ in komplexen Umfeldern nicht funktioniert, ist nicht neu. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich das preußische Militär mit dieser Frage auseinander. Die Erkenntnis: Ein Befehl beschreibt den Weg zum Ziel. Egal wie gut vorbereitet dieser Befehl ist – er wird in der Realität immer zu kurz greifen. Helmuth Graf von Moltke hat das wunderbar auf den Punkt gebracht „Kein Operationsplan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus.“
Sogar den streng hierarchischen Organisationen wie dem Militär war klar: Selbst der genauste Befehl und „perfekteste“ Plan halten nur so lange, bis die Realität zuschlägt. Mit dieser Realität muss sich aber der einfache Soldat auseinandersetzen – und nicht der General. Wer in unübersichtlichen Situationen dem Wortlaut eines Befehls folgt, ist zum Scheitern verurteilt.
Die Antwort auf diese Erkenntnis war die Entwicklung eines damals fast revolutionären Führungskonzepts: Das „Führen mit Auftrag“ oder etwas eingängiger im englischen „Commander‘s Intent“. Dieser Ansatz, der heute zentrales Führungsprinzip in fast allen modernen Militärs ist, gibt nicht den Weg, sondern das Ziel vor. Statt einer detaillierten Anweisung definiert die Führungskraft die Zielsetzung und erklärt den Kontext der Gesamtmission. Das ist die Absicht des/der Führenden. Der/Die Geführte oder das Team verfolgen das Ziel dann selbständig auf Basis der gegebenen Rahmenbedingungen. Das können sie natürlich nur tun, wenn sie verstehen, warum sie etwas tun. Und innerhalb welcher Leitplanken sie agieren.
Mit seinem Führungsprinzip „Führen mit Auftrag“ hat das preußische Militär vorweggenommen, was Simon Sinek heute als revolutionäre Führungsmethode preist: „Start with Why“. Wenn Du Menschen in die Verantwortung führen willst, erklärst Du ihnen am besten zuerst, warum sie etwas tun sollen. Damit verstehen sie denn Sinn der Aufgabe. Dann erklärst Du, was das Ergebnis der Aufgabe sein soll. Wie das Ganze umgesetzt werden soll, überlässt Du Deinen Kollegen.
Das Ergebnis: Partnerschaftliche Führung auf Augenhöhe, Flexibilität unter veränderten Umständen, und vor allem die Entlastung der Führung durch einen echten Übergang der Verantwortung.
Gemeinsame Sicht mit Briefing-Backbriefing
Ein wichtiger Bestandteil des „Commander‘s Intent“ sind das Briefing und das Backbriefing. Jeder von uns sieht die Welt aus seinem eigenen Winkel. Als Führungskraft siehst Du das große Ganze, die Strategie. Deine Kollegen stecken tief in den Details, sehen die operativen Stolpersteine. Ihr beschreibt die gleiche Situation und redet aufgrund der unterschiedlichen Bilder in euren Köpfen doch aneinander vorbei. Im Zweifelsfall stimmt Dein:e Kolleg:in Deinem Auftrag einfach zu, ohne zu wissen, dass er/sie Deinen Auftrag anders verstanden hat, als Du ihn gemeint hast. Dann geht Dein Auftrag ins Leere, Dein:e Mitarbeiter:in weiß nicht wirklich, was er/sie erreichen soll. Frustrierend für euch beide! Der/Die Kolleg:in kann nicht autonom agieren und Du hast das Gefühl, ihm/ihr fehlt die nötige Kompetenz.
Verantwortung wird nur erfolgreich übertragen, wenn ihr wirklich das gleiche Verständnis habt. Damit sind wir beim Briefing-Backbriefing: Im Briefing erklärst Du, was Du anstrebst und warum. Jetzt bloß nicht einfach in die Details gehen! Auch wenn es sich komisch anfühlt: Lass Deine Kolleg:innen erst mal erklären, was bei ihnen genau angekommen ist. Das ist das Backbriefing: Lass sie mit eigenen Worten „wiederholen“, was sie verstanden haben. Mit diesem kurzen Austausch überprüft ihr, ob ihr wirklich das gleiche Verständnis habt oder ob ihr nochmal nachsteuern müsst. Die paar Minuten, die diese Abstimmung „kostet“, holt ihr über eine bessere Umsetzung und die Reduktion von Abstimmungsschleifen in kürzester Zeit wieder rein.
In die Verantwortung führen
Die Übertragung von Verantwortung nach dem „Commander’s Intent“-Prinzip erfolgt in fünf Schritten. Gut ausgeführt, unterstützen diese Schritte alle Ebenen der Vertrauenspyramide, vom Aufbau des Vertrauens bis hin zur gemeinsamen Zielorientierung. Und unterstützt damit nicht nur die Übergabe von Verantwortung, sondern auch die Entwicklung eines High Performance Teams.
Briefing-Fragen
- Ziel & Kontext: Was soll erreicht werden? Warum soll es erreicht werden?
- Zeitrahmen: Welche Zeit steht zur Umsetzung zur Verfügung?
- Beteiligte / Stakeholder: Wer ist sonst noch involviert? Wer hat ein berechtigtes Interesse an der Aufgabe und warum? Was sind die Ziele der Beteiligten?
- Rahmenbedingungen: Welche Ressourcen sind verfügbar: Zeit, Menschen, Geld? Welche Freiräume gibt es, was darf allein entschieden werden, was nicht?
Mit diesem Briefing bist Du perfekt vorbereitet für den zweiten Schritt: Das erste Briefing-Backbriefing. Beginn den Austausch, indem Du Deinen Kolleg:innen das Briefing vorstellst. GANZ WICHTIG: Gehe NICHT auf einen möglichen Weg zur Umsetzung ein, auch wenn er Dir (scheinbar) ganz klar ist. Klingt einfach, ist es aber nicht. Wir sind es total gewohnt, immer gleich auch Anweisungen zur Umsetzung zu geben. Aber: In dem Moment, in dem Du das machst, wirst Du Dein:e eigene:r Gefangene:r. Denn dann übernimmst Du bereits im Vorfeld die Verantwortung für die Ausführung und vergibst die Chance, weitere Anregungen von Deinen Kolleg:innen einzusammeln. Eine echte Übergabe von Verantwortung ist hier schon gefährdet – und zwar durch Dich selber! Das Briefing wird durch das Backbriefing beantwortet: Bitte Deine Kolleg:innen, ihr Verständnis des Auftrags in eigenen Worten zusammenzufassen. Klärt eventuelle Verständnislücken, lass Raum für Nachfragen. Wenn Du hier gut zuhörst und auf die Gedanken deiner Kolleg:innen eingehst, baut ihr Vertrauen auf. Ihr beginnt euch besser zu verstehen, und könnt im kritischen Diskurs ein gemeinsames Bild entwickeln. Das gegenseitige Kennenlernen ist neben der reinen Aufgabenübergabe ein wesentlicher Aspekt des „Führens mit Auftrag“. Über den Austausch und die Nachfragen wirst Du Deine Kolleg:innen besser kennenlernen. Welche Perspektive nehmen sie ein? Wie gut sind sie darin, die Situation zu verstehen und zu bewerten? Welche Kompetenzen haben sie schon, was brauchen sie noch? Wo musst Du ihnen helfen, wo kannst Du sie allein laufen lassen? Wenn Du Dich in diesen Briefings auf Deine Kolleg:innen einlässt, ihnen aktiv zuhörst und bewusst am besseren Verständnis Deiner Kolleg:innen arbeitest, entsteht tiefes Vertrauen und eine echte Beziehung. Das beste dabei: Ihr macht es im Arbeitsprozess, ohne besondere „Kennenlerntermine“. Das erste Briefing-Rebriefing ist abgeschlossen, wenn ihr ein gemeinsames Bild der Aufgabe geschaffen habt. Im dritten Schritt ist es Zeit für die Kolleg:innen, ins „stille Kämmerlein“ zu gehen und ihren Weg zum Ziel zu entwickeln. Auch für das Backbrief gibt es ein einfaches Template.
Rebriefing-Fragen
- Zieldefinition: Dein Verständnis des Ziels und des Kontexts
- Umsetzung: Was wirst Du tun, um das Ziel zu erreichen? Welche Ergebnisse willst Du liefern, wie misst Du den Erfolg?
- Notwendige Schnittstellen / Ressourcen: Wie wirst Du mit den Beteiligten zusammenarbeiten, was brauchst Du von ihnen, was wirst Du bereitstellen?
Das Backbriefing startet mit der Zieldefinition – in den eigenen Worten der Kolleg:innen. Es folgt die Beschreibung des Vorgehens inklusive der Ergebnisse, die geliefert werden sollen. Idealerweise schlagen sie sogar eigene Erfolgskennziffern vor und übernehmen damit im wahrsten Sinne des Wortes Rechenschaft. Indem sich Deine Kolleg:innen intensiv mit der Aufgabe und der Entwicklung eines eigenen Weges auseinandersetzen, übernehmen sie Verantwortung für diese Aufgabe. Denn der Weg, den sie vorschlagen, ist ihr Weg und keine ungeprüfte Vorgabe von oben. Nun kommt der vierte Schritt der Verantwortungsübergabe und die zweite Briefing-Backbriefing-Runde. Die Kolleg:innen stellen Dir vor, wie sie die Aufgabe erfüllen und das Ziel erreichen wollen. Für Dich heißt es: Zuhören und Fragen zum Verständnis stellen. Erst wenn Du verstanden hast, wie Deine Kolleg:innen vorgehen wollen, ist der Zeitpunkt gekommen, Deine eigenen Ideen für die Umsetzung einzubringen. Gemeinsam könnt ihr den Vorschlag optimieren. Wieder geht ihr durch einen Prozess des gegenseitigen Zuhörens und des kritischen Diskurses. Und stützt damit das gegenseitige Vertrauen. Durch den gegenseitigen Input steigt auch die Qualität der Umsetzung. Ihr bringt all eure Perspektiven ein – Du das Big Picture und die Kolleg:innen ihre operativen Erfahrungen. Jetzt beschließt ihr, wie das Vorgehen aussehen soll, was genau das Ergebnis ist, wann es fertig ist, und ganz wichtig: ob und wann ihr Check-ins zum Stand der Umsetzung macht. Durch das intensive Gespräch weißt Du, wie viel Support Deine Kolleg:innen brauchen und kannst damit steuern, wie intensiv Du die Umsetzung begleitest. Bei neuen Mitarbeiter:innen werden die Check-ins sicher öfter stattfinden, als bei erfahrenden Kolleg:innen. Mit dem Go! zur Umsetzung geht dann final die Verantwortung an die Kolleg:innen über. Der fünfte Schritt in der Verantwortungsübergabe sind die Umsetzung und die Check-ins, die ihr in Schritt Vier verabredet habt. In den Check-ins legen die Kolleg:innen auf Basis des vereinbarten Vorgehens Rechenschaft über den Fortschritt ab. Da ihr die Ziele und das Vorgehen gemeinsam diskutiert und beschlossen habt, fühlt sich diese Rechenschaftspflicht ganz natürlich an. Es geht dann nicht darum, eine:n Kolleg:in vorzuführen, sondern ihr überprüft gemeinsam den Fortschritt der Arbeit. Kommunikation muss es natürlich auch geben, wenn sich die Lage unerwartet ändert oder wenn die Kolleg:innen von ihrem Plan abweichen wollen. In diesem Fall sollten sie mit eigenen Vorschlägen zum weiteren Vorgehen auf Dich zukommen. Solange ihr die Verantwortungsübernahme noch nicht zur Gewohnheit gemacht habt, sind diese Check-ins ein gerne gewählter Zeitpunkt der Rückübertragung von Verantwortung. Pass auf, dass Dir der Affe „Verantwortung“ nicht schnell wieder auf die Schultern gesetzt wird.
Tipps zur praktischen Umsetzung
„Führen mit Auftrag“ bedeutet für die meisten von uns ein ziemliches Umdenken: Du machst Dir mehr Gedanken zu den Aufgaben, die Du übergeben willst. Die Briefings kosten mehr Zeit, als wenn Du Deinen Kolleg:innen einfach nur eine Anweisung zuwirfst. Du setzt Dich intensiv mit den Menschen auseinander und musst Dich ihren kritischen Nachfragen aussetzen. Das ist nicht immer angenehm. Vor allem für kleinere Aufgaben scheint dieses Prinzip überdimensioniert. Daher geben die meisten Führungskräfte diesen Ansatz nach der ersten Begeisterung über die neue Superpower wieder auf. Wie aber kannst Du am Ball bleiben? Mit den gleichen Ansätzen, mit denen Du auch sonst Gewohnheiten umstellst.- Mach dir klar, wie viel Gutes dieser Ansatz mit sich bringt und male Dir plastisch aus, wie es sich anfühlt, wenn wirklich alle Kolleg:innen anfangen, Verantwortung zu übernehmen. Puh! Was eine Erleichterung!
- Übe erst mal mit ausgewählten Kolleg:innen. Verpflichte Dich selber, indem Du ihnen erklärst, was Du vorhast und warum dieses Führungsinstrument so mächtig ist. Ich wette, Deine Kolleg:innen haben großes Interesse, diesen Ansatz gemeinsam mit Dir zu lernen, da es auch ihre Arbeit nachhaltig verbessert. Lass Dir auch Feedback von ihnen geben. Damit hast Du indirekt auch einen A/B-Test: Führen mit und ohne „Commander’s Intent“.
- Nutze den Ansatz erst mal bei mittelgroßen Projekten, bei denen Du auch das Gefühl hast, dass sich der Aufwand des Briefings lohnt. Bei kleinen Verantwortungsübergaben kannst Du die Checkliste einfach im Kopf durchgehen. Druck die Checkliste aus und häng sie irgendwohin, wo Du immer wieder drauf schaust. Damit verinnerlichst Du das Briefing ohne großen Aufwand. Mach Dir klar, dass es um das Prinzip geht und nicht um die Regeltreue.
- Gehe diesen Prozess schließlich wirklich ergebnisoffen durch. Nichts ist demotivierender für deine Kolleg:innen, als wenn Du den Prozess nominell durchläufst, aber eigentlich ganz genau weißt, was Du willst oder, wenn Du diesen Ansatz für Routineaufgaben ohne alternative Wege nutzt. In beiden Fällen werden sich deine Kolleg:innen vorgeführt fühlen und sich erst recht der Verantwortung entziehen.
Mit zunehmender Übung wird diese neue Arbeitsweise immer natürlicher werden. Wenn Du schließlich selber ein gutes Gefühl hast, lohnt es sich, das Prinzip des „Führens mit Auftrag“ im gesamten Unternehmen zu verankern. So wie bei der Bundeswehr. In ihren Führungsleitlinien steht unter den Grundsätzen der inneren Führung: „Anwendung des Prinzips »Führen mit Auftrag«“. Eindeutiger kann man ein Commitment nicht geben.
Über die Autorin
Mit ihrem ganzheitlichen Führungsmodell unterstützt Dorothea von Wichert-Nick Gründer:innen und Führungskräfte dabei, nachhaltiges Wachstum zu realisieren – sowohl für ihre Unternehmen als auch für die Menschen in ihren Teams. Die Teilnehmer:innen ihres Coachings sind Gründer:innen und Führungskräfte von Wachstumsunternehmen, sowohl auf individueller als auch auf Teamebene. Dorothea unterstützt auch unsere Unternehmertalente innerhalb unserer verschiedenen Education Programme.
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