Wie baut man in seiner Region ein Startup Ökosystem auf? Dieser Frage hatten sich auf der Hinterland of Things einige Expert:innen angenommen:
- Verena Pausder ist Bielefelderin, entstammt einer traditionsreichen Unternehmerfamilie, ihr Startup Fox and Sheep ist Europas größter Entwickler von Apps für Kinder und aktuell baut sie deutschlandweit HABA Digital Werkstätten auf
- Dorothee Bär ist Deutschlands Staatsministerin für Digitales, Vorsitzende des Netzrates der CSU und will als Macherin den Unternehmern in Deutschland Mut geben, Innovation anzutreiben
- Udo Schloemer aus Berlin hat 2011 den Startup Campus Factory Works gegründet und hat so einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, Berlin zum Top Startup Ecosystem in Europa zu entwickeln
- Eduard R. Dörrenberg leitet das Asiengeschäft der Dr.Wolff Gruppe, ist in Singapur und Bielefeld zu Hause und Mitbegründer der Pioneer Clubs, einem wesentlichen Dreh- und Angelpunkt des Ecosystems Ostwestfalen-Lippe
Wie baut man ein Startup Ökosystem?
2011 wollte Udo Schloemer ein europäisches Silicon Valley schaffen. Dabei wurde ihm schnell klar, dass er ein Henne-Ei-Problem lösen muss:Womit zieht man die guten Leute in eine Region?
In Berlin gab es bereits eine große Stärke, die die Stadt so attraktiv machte: Wichtig ist nicht das, was zwischen 9 und 17 Uhr passiert, sondern was zwischen 17 und 9 Uhr passiert“. Berlins Clubszene hat ganz wesentlich die Startupszene getrieben und das Ökosystem hat sich fast von alleine entwickelt. Es musste nur mit „Mut und Geld etwas sortiert und organisiert werden“. Bis vor 2 Jahren war Udo noch sicher, alle guten Leute nach Berlin holen zu müssen, um gegen China und USA zu bestehen. Heute weiß er:„Unsere Stärke in Deutschland ist die Dezentralisierung“
Die Business Models, die es in den USA geschafft haben, sind eher trivial und für den Massenmarkt. Die Engineering DNA in Deutschland wird sich eher komplexeren B2B Geschäftsmodellen annehmen.
Die Stärken von Mittelstand und Startups kombinieren
„Wie müssen dafür sorgen, dass die guten Leute attraktive Gegenden erst gar nicht verlassen müssen“ hatte Dorothee Bär gleich zu Anfang des Austausches betont. Zudem unterstrich sie auch, wie wichtig es ist, nicht nur in seiner eigenen Ökosystem-Blase zu sitzen, sondern über den Tellerrand hinweg zu schauen. Das bezog sie übrigens nicht nur auf die Berliner Startup Szene.
Damit Deutschland auch eine erfolgreiche Digitalnation wird, dürfen wir uns nicht auf den Erfolgen als Industrienation ausruhen. Dazu gehört für den Mittelstand auch, sich breiter aufzustellen und die Zusammenarbeit mit Startups zu suchen. So kann bspw. eine Marktführerschaft wie bei Automobil-Sensoren, die weltweit zu 50% von deutschen Hersteller:innen kommen, fortgeführt werden. Denn, wenn es eines gibt, das für Machine Learning im Allgemeinen und autonomes Fahren im Speziellen benötigt wird, dann sind das Daten aus Sensoren.
Doch auch ihr als Staatsministerin war klar: Auch wenn sich schlechte Politik im Digitalen langfristig nicht durchsetzen wird, kann sie kurzfristig dennoch ein Hemmschuh für wichtige Innovationen und notwendige Entwicklungen sein.
Was macht Ostwestfalen-Lippe so gut als Startup Ökosystem?
Einen großen Vorteil eines Ökosystems wie OWL nannte Udo Schloemer darin, dass man sich immer wieder über den Weg läuft und etwas neues schaffen kann.
Und ein großes Vorurteil, das auch mit der Hinterland ein Stück weiter ausgeräumt werden konnte ist: Die in OWL sitzen immer nur im Büro, arbeiten und denken nach. Dass hier genauso Party gemacht werden kann, wie in Berlin haben wir unter Beweis gestellt.
Aber vor allem für die Industrie ist das Ökosystem OWL ideal: Hier sind viele starke internationale Unternehmen ansässig, die bspw. im Berliner Umfeld fehlen. Gerade der produktive und innovative Austausch unterhalb dieser Unternehmen ist unglaublich wichtig, denn:
China kopiert längst nicht mehr nur, sondern liefert selbst große Innovationen.
Etwas, das den ostwestfälischen Mittelstand immer mehr auszeichnet ist die Fähigkeit rauszugehen und das Unternehmen zu verlassen. Etwas wie der Pioneers Club, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen: „Wir sitzen doch nicht mit einem Konkurrenten in einem Raum und schauen uns gegenseitig dabei zu, wie wir an einem Webshop arbeiten. Heute ist das im PC durchaus Alltag“ beschrieb Dörrenberg die digitale Realität im heutigen OWL.
Diese Nähe und das Verständnis, gemeinsam die eigene Region zu stärken ist etwas, das wir uns vom Silicon Valley am einfachsten abschauen können, denn natürlich treffen sich Engineers von Twitter und Facebook abends in einer Bar und tauschen sich über Lösungen und Probleme aus.
Wir brauchen mehr Investor:innen-Kultur
Und die nicht nur in Ostwestfalen-Lippe, sondern in ganz Deutschland und sogar auf europäischer Ebene. Denn:
Die großartigsten Innovationen und erfolgreichsten Unicorns nutzen uns nichts, wenn spätestens in den C-Rounds mit 3-stelligen Millionentickets nur noch amerikanische und chinesische Investor:innen die Startups, das Know-how und letzten Endes auch den Ertrag raus kaufen.
Dabei haben sowohl mittelständische Familienunternehmen wie auch deutsche Versorgungsfonds genug Kapital, um in entsprechender Höhe zu investieren.
Wir müssen uns fragen, wie wir dafür sorgen, dass Geld und Know-how in Europa bleiben. Dabei geht es vor allem darum, in Ideen und Menschen zu investieren. Denn selbst, wenn ein Startup failed, steht meist ein tolles Team dahinter, das ein kommendes Projekt super voran treiben kann.
Wie schnell Know-how und Leute angezapft werden können verdeutlichte Udo mit einer Anekdote, als er mit der Schlagzeile „Ich baue das nächste European Silicon Valley“ auf TechCrunch zitiert worden war: Der damalige Google-CEO Eric Schmidt rief ihn persönlich am nächsten Tag an und machte das Angebot: „Ich gebe Dir 1 Million Euro, wenn ich die Leute ausbilden darf.“ Geld im Austausch zum Access zu den Talents.
Und so forderte Udo abschließend die deutschen Familienunternehmen zu der Haltung auf:
Ob wir nun mit 1 Milliarde oder 1 Million auf dem Konto abtreten ist doch egal. lieber 999 Millionen gut in unsere eigenen Business Models, Talente und Zukunft investiert!